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„Wann, wenn nicht jetzt?“ - Überlegungen für ein nachhaltiges Wirtschaften

Hanns Michael Hölz ist Vorstandsvorsitzender des Forums Nachhaltige Entwicklung der deutschen Wirtschaft.

29. April 2009
Von Hanns Michael Hölz
Von Hanns Michael Hölz

Das ökonomische Modell des 20. Jahrhunderts stößt an seine Grenzen – an die Grenzen der Kapazität, was die Verbesserung der Lebensbedingungen der 2,6 Billionen Armen betrifft, und an die Grenzen der Umwelt. Können wir die kapitalistische Dynamik nutzen, um eine ökologische Neuausrichtung zu erreichen – also den Tiger reiten? Lässt sich die Krise durch die Beschneidung ihrer Exzesse bewältigen? Was wären mögliche Alternativen?

Die Fragen, die die Böll.Thema-Redaktion an mich stellte, sind Fragen, die jede für sich ein eigenes Buch rechtfertigen und die vielen Wissenschaftlern bereits schlaflose Nächte bereiten. „I stand here today humbled by the task before us“, sagte Präsident Barack Obama bei seiner Amtseinführung, und so geht es wohl uns allen angesichts der weltweiten Herausforderungen.

Die Aufgaben sind bekannt, definiert, diskutiert – doch über die Lösungen herrscht kaum Einigkeit. Wen wundert dies bei der schier unermesslichen Komplexität und den kaum zu erfassenden Interdependenzen einer globalisierten Welt. Im Folgenden möchte ich deshalb nur einige wenige – vielleicht symptomatische – Aspekte beleuchten.

Interdependenzen – Problem und Lösung zugleich

Schneepflüge für Guinea“ – unter diesem Titel schreibt Bartholomäus Grill, Mitglied im Afrika-Beraterkreis des Bundespräsidenten, in der Zeitschrift Internationale Politik (12/07), warum die Entwicklungshilfe der letzten fünfzig Jahre gescheitert ist. Unzählige Initiativen, Organisationen, Projekte suchen nach Lösungen. „Einen Masterplan, der in einer aus den Fugen geratenen Welt menschenwürdige Verhältnisse herstellt, gibt es nicht. Doch es wird allmählich Zeit, Entwicklungspolitik jenseits der humanitären Selbstverpflichtung als globale Strukturpolitik zu begreifen“, so das Fazit des langjährigen Afrika-Kenners.

Ja, wir brauchen eine globale Strukturpolitik – nicht nur mit Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern mit Blick auf die ganze Welt. Man muss kein begnadeter Analytiker sein, um zu erkennen, dass all unsere Probleme zusammenhängen – sich gegenseitig bedingen. Die stete Ausbeutung von Umwelt, Menschen und Wirtschaftskapital führt zu einem immer größeren Verlust an Stabilität. Doch in der Gestaltung dieser Interdependenzen liegt auch die Lösung: Wir müssen zu einer Harmonisierung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren gelangen und so zu mehr Stabilität im globalen Maßstab.

Nachhaltigkeit als Maxime

Das kann nicht im Eiltempo geschehen. Was wir allerdings schnell brauchen, ist eine Änderung unseres Denkens. Wir brauchen neue Handlungsmaxime – für jeden Einzelnen, für Unternehmen, Regierungen, globale Organisationen und Initiativen. Die Maxime, die der Komplexität der Herausforderungen am besten gerecht wird, ist die der Nachhaltigkeit. Wer nachhaltig handelt, hat die drei Faktoren Mensch, Wirtschaft und Umwelt gemeinsam im Bewusstsein und ist ständig bemüht, sie in Einklang zu bringen. Weil Geld hier eine große Rolle spielt, können gerade Unternehmen entscheidend dazu beitragen, dass der Nachhaltigkeitsgedanke zum globalen New Deal wird.

Enorme Chancen für Unternehmen

So liegen die wirtschaftlichen Chancen nachhaltigen Handelns zum Beispiel in der Entwicklung innovativer, problemlösender Produkte. Allein die Bereiche Energiegewinnung und Energieeffizienz eröffnen ein immenses Feld, das täglich nach Ideen verlangt: von neuen Techniken über regenerative Energien zu klimaschonenden Produkten, Fahrzeugen und Gebäuden – weltweite Aufgaben, die neue Arbeitsplätze und neue Industriebranchen hervorbringen können. Ein langfristiges Engagement und Erfolg auf diesen und weiteren nachhaltigen Sektoren ist schließlich das beste Mittel gegen Rezession und Instabilität.

Zur Nachhaltigkeit gehört selbstverständlich das aktive Wahrnehmen sozialer Verantwortung sowie Offenheit und Transparenz der Gesellschaft gegenüber – also die Werte des „guten Regierens“ (Corporate Governance, Global Governance), die sich weltweit durchzusetzen beginnen. Dazu gehört auch ein vorausschauendes und umfassendes Risikomanagement, das wirtschaftliche und soziale Risiken für das Unternehmen frühzeitig erkennt und entsprechend gegensteuert. Um Reputationsrisiken wird sich ein wirklich nachhaltiges Unternehmen übrigens nicht mehr kümmern müssen: Das Einhalten der Handlungsmaxime schließt in der Regel Fehlverhalten und unethisches Handeln aus.

Globale Regulierungen

Die Auswirkungen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise hat in diesem Ausmaß kaum jemand vorausgesehen, Börsen-Crashs werden selten prognostiziert. Am Abend vorher gehen alle noch ruhig ins Bett. Ein Vorwarn- und Kontrollsystem ist also die conditio sine qua non eines neuen Zeitalters. Gefordert sind die Einführung besserer Überwachung, von Sicherheits- und Transparenzbestimmungen für Finanzinstrumente sowie eine stärkere Aufsicht über Finanzinstitute, Fonds und finanzielle Zweckgemeinschaften. Für einen fairen Wettbewerb sollten alle Akteure die gleichen, international geltenden Regeln befolgen. Dies kann deshalb keine Aufgabe sein, die national oder auch europäisch zu lösen ist. Nur ein globales Regelwerk verspricht hier eine dauerhafte tragfähige Lösung. Eine Aufgabe, die etwa beim Internationalen Währungsfonds gut aufgehoben wäre – ein IWF mit neuer Struktur und erweiterter Kompetenz. So global und effizient wie möglich – das muss der Gestaltungsfokus bei der Bildung einer solchen neuen Institution sein.

Der erste Finanzgipfel der G20-Staaten in Washington letzten November war dazu ein wichtiger Schritt. Er lässt hoffen, dass der zweite Gipfel in London im April 2009 den Durchbruch bringen wird. Und vor allem der Initiative der deutschen Bundeskanzlerin für eine „Charta für nachhaltiges Wirtschaften“, in der Prinzipien für eine neue Weltfinanzarchitektur festgeschrieben werden sollen, ist dabei Erfolg zu wünschen.

Wohlstand für alle

Es ist die große Gestaltungsaufgabe unserer Zeit, einen fairen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ansprüchen zu finden und dabei die drängenden Herausforderungen zu bewältigen, denen wir uns gegenüber sehen – insbesondere Armut, Überbevölkerung, Klimawandel und Umweltzerstörung.

Muss man dazu „den Tiger reiten“, um ein Stichwort der Eingangsfragen aufzunehmen? Nein, einen kapitalistischen Tiger reitet man nicht, man bändigt ihn – nach wie vor – mit einer sozialen Marktwirtschaft. Da sollte man keine Alternative zulassen. Die Kunst liegt in der Ausgestaltung – und da üben wir bereits seit sechzig Jahren. Es gilt, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ein solides, auf Nachhaltigkeit orientiertes Fundament zu bilden – für das einzelne Unternehmen wie für die Wirtschaft als Ganzes –, auf dem sich ein stabiles Wertschöpfungssystem entwickeln bzw. erhalten kann. Eine neue Ära kann zeigen: Nachhaltigkeit und Erfolg sind kein Gegensatzpaar. Nachhaltigkeit wird sich vielmehr als Erfolgstreiber der neuen Zeit etablieren.

Auch in der aktuellen Wirtschaftskrise sollten nachhaltige Konzepte die Konjunkturprogramme der Staaten bestimmen. Die Maßnahmen dürfen nicht nur eine kurzfristige Stimulation auslösen. Sie müssen vielmehr geeignet sein, Handlungen und Projekte zu initiieren, die Innovationen und Effizienzsteigerungen nach sich ziehen – die uns auch nach der Krise zur Verfügung stehen und weiter bringen.

Wohlstand für alle – weltweit. So vermessen es klingt, dies muss unser Ziel sein. So nannte denn auch Jeffrey D. Sachs, Leiter des Earth Institute an der Columbia Universität New York, sein aktuelles Buch „Common Wealth“. Es sei allen empfohlen, die an Fakten interessiert sind, an Analysen, Synthesen und Prognosen. Ein Leitfaden für eine tiefere Diskussion, als sie hier möglich war.

Bleiben wir optimistisch und halten wir es mit Robert Kennedy: „There are those who look at things the way they are, and ask why … I dream of things that never were, and ask why not?“

Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal

Wir befinden uns inmitten einer Transformationskrise des Kapitalismus. Im Zentrum steht die Idee eines «Green New Deal», die weltweit als Antwort auf die Doppelkrise von Wirtschaft und Umwelt diskutiert wird. Diese Ausgabe von Böll.Thema leuchtet aus, wie die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden können. mehr»

»  Dossier: Auf dem Weg zu einem Green New Deal